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blog 0200 - schamloser humanismus

06.04.2015 07:43

das problem des kampfes gegen rassenvorurteile
auf menschlicher ebene spielgelt
ein viel umfassenderes problem wider,
das noch dringender einer lösung bedarf.

ich spreche von dem verhältnis zwischen
dem menschen und anderen lebenden arten.

es ist zwecklos, das eine problem
ohne das andere lösen zu wollen.

denn die achtung gegenüber den eigenen artgenossen,
die wir vom menschen erwarten,
ist lediglich ein einzelaspekt
der allgemeinen achtung
vor allen formen des lebens.

indem der westliche humanismus den menschen
von der übrigen schöpfung isoliert
und die grenzen,
die ihn von anderen lebewesen trennen,
zu eng zieht,
hat er ihn eines schutzschildes beraubt.

man hat mir oft vorgeworfen,
ich sei anti-humanist.
ich bin es nicht.

aber ich rebelliere gegen jenen schamlosen humanismus,
einerseits jüdisch-christlicher herkunft,
andererseits produkt der renaissance und des cartesianismus:
der mensch als absoluter herr der ganzen schöpfung.

das ist ein unmenschlicher humanismus.

alle tragödien unserer geschichte -
kolonialismus. faschismus. vernichtungslager –
sind kein widerspruch zu jenem humanismus,
den wir da seit jahrhunderten praktizieren,
sondern eine logische verlängerung.

das ist doch ein und dasselbe:
der mensch markiert eine unmenschliche grenze
zwischen sich und den übrigen lebewesen -
und landet bei unmenschlichen grenzen
innerhalb des menschengeschlechts.

er separiert bestimmte,
allein menschliche menschenarten von anderen,
untermenschlichen menschenarten.

diese unterwirft er dann derselben herabwürdigung,
die er längst zwischen menschlichen
und nichtmenschlichen lebensformen praktiziert.

das ist die wirkliche erbsünde.
sie treibt die menschheit zur selbstzerstörung.

 

ich hätte mich gern einmal richtig mit einem tier verständigt.
das ist ein unerreichtes ziel.
es ist schmerzhaft für mich zu wissen,
dass ich nie wirklich herausfinden kann,
wie die materie beschaffen ist
oder die struktur des universums.

das hätte es für mich bedeutet,
mit einem vogel sprechen zu können.

aber da ist die grenze,
die nicht überschritten werden kann.

(claude levi-strauss, 1908-2009)
 

de.wikipedia.org/wiki/Claude_L%C3%A9vi-Strauss

claude levi-strauss, frz. philosoph und ethnologe,
beschäftigte sich mit der sozialstruktur und kultur der gesellschaften.

keinesfalls sei unsere kultur geistig-kognitiv überlegen,
sondern beides seien varianten jener gleichartigen verfahrensweisen,
für welche er den begriff „wildes denken“ als kennzeichnung einführte.

der „primitive“ sei nicht etwa trieb- statt vernunftgesteuert,
sondern bearbeite nicht weniger „vernünftig“ -
sondern einfach nur anders -
dabei aber mit anderen zielen und stärker im modus von „bastelei.

als „kalte kulturen“ bezeichnete er solche gesellschaften,
bei denen das gesamte denken und handeln
bewusst und unbewusst darauf abzielt,
jegliche veränderungen der traditionell fixierten strukturen zu verhindern
(sofern es keine zwingende notwendigkeit oder fremde einflüsse gibt).

das vertrauen gilt der natur;
menschliches wirken gilt grundsätzlich als unvollkommen.
die sogenannten isolierten völker,
die zumeist absichtlich den kontakt zur westlichen welt meiden,
sind die heutigen repräsentanten der kalten gesellschaften.

„heisse kulturen“ sind das genaue gegenteil:
sie vertrauen der menschlichen innovationsfähigkeit und sind optimistisch,
die natur an ihre bedürfnisse anpassen zu können.
daher ist ihr gesamtes streben auf fortschritt und veränderung gerichtet.

selbst, wenn sich dadurch zuerst vorrangig
die lebensbedingungen der privilegierten verbessern,
sind die unteren schichten häufig die triebfeder der entwicklung.

die moderne, westlich orientierte konsumgesellschaft
ist der prototyp der heissen kultur.