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blog 0163 - wolf und hexe

20.02.2015 07:23

im sommer greift der canis lupus die schafherden auf den almen an.
auf diese weise sterben jährlich tausend schafe
unter den fangzähnen der wölfe - nichts im vergleich mit den schäden,
die die streunenden hunde anrichten.

diese angriffe wurden früher von den schäfern und ihren hunden
und durch einpferchen in der nacht verhindert.
aber die weltweite konkurrenz zwingt die züchter,
ihre produktionskosten unter kontrolle zu halten,
um angesichts von fleischimporten wettbewerbsfähig zu bleiben,
und ihre herden daher allein im gebirge herumirren zu lassen,
wo der wolf sich sein territorium erobert hat.

sollte die furcht vor dem wolf europa bei der gurgel packen?
vielleicht handelt es sich ja auch bloss um eine französische krankheit.
in italien und spanien (wo etwa 2000 wölfe gezählt worden sind)
verhütet die anwesenheit von schäfern mit ihren hunden
verluste in den herden.

seit langem lebt der canis lupus dort in einträchtiger gemeinschaft
mit dem menschen, dem bären, den schafen und vielen anderen tierarten.

zufall? die wölfe und die ungezähmten frauen haben den gleichen ruf.
laut clarissa pinkola estes weist die geschichte der wölfe
hinsichtlich leidenschaftlichkeit und mühsal
merkwürdige ähnlichkeiten mit derjenigen der frauen auf.
wölfe und frauen haben gewisse psychische eigenschaften gemeinsam:
geschärfte sinne, spieltrieb und eine extreme fähigkeit zur aufopferung.

vor allem aber wird gegen frauen und wölfe die gleiche feindselige gewalt,
ergebnis ein und desselben missverständnisses, ausgeübt.

als sirenen oder hexen wurden sie bestraft für ihr ursprüngliches,
unverfälschtes, wesensmässiges verhältnis zur natur.
man wollte ihre verschüttete erinnerung an den garten eden verstümmeln,
an den die schönheit und der verlust manchmal merkwürdige erinnerungen
und machtvolle intuitionen wachrufen.

manche sind verbrannt, andere verbannt worden.
wieder bei anderen streckt und schüttelt sich ihr schatten,
wenn sie im mondlicht laufen, wie der einer wölfin.
das sind jene, die ungehemmt lachen und lieben, gebären und erschaffen,
sich an ihren formen freuen und an dem warmen blut,
das aus ihren körpern strömt;
und die instinktiv die heilkräfte eines jeden krauts
und das gift der früchte kennen.

es sind jene, die die cantadoras amerikas besingen,
die frau, die am ende der zeit lebt“ oder
die frau, die am rand der welt lebt.

diese frau, diese wölfin bleibt freundin und mutter der verirrten,
derer, die wissen wollen, die ein rätsel zu lösen haben,
die durch die wüste oder den wald irren,
auf der suche nach einer antwort, einem zeichen, einer hoffnung.

(helene grimaud, *1969, pianistin, autorin wolfssonate)

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