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blog 0147 - gestern vor 200 jahren

22.01.2015 11:53

von bayreuth wird gemeldet,
dass daselbst ein ochse
geschlachtet worden sey,
der auf der dortigen heuwage 2535 pfund,
das pfund zu 34 loth,
gewogen habe.
der schlächter,
der ihn gemästet
und vermuthlich auch geschlachtet hat,
heisst morg;
der ochs wird nicht genannt.

(mattias claudius, 1740-1815)

de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Claudius

sein „abendlied" mit den anfangsworten
„der mond ist aufgegangen" kennt bis heute fast jeder,
ansonsten aber ist matthias claudius (1740-1815),
der heute vor 200 jahren starb, vergessen.

dabei ist er ein faszinierender schriftsteller,
sagt sein biograf, der musikprofessor martin geck.

jens dirksen sprach mit ihm über claudius.

claudius bietet eine wunderbare vermischung
von frechheit, frömmigkeit und frohsinn.
er wollte schlichtheit und tiefe,
das klingt vielleicht kitschig,
aber er vermischt es gottlob
mit dem handfesten, witzigen, verblüffenden.

wie passt claudius denn in die heutige zeit?

nun, einmal etwa schildert er im „wandsbecker bothen"
einen fetten ochsen, der geschlachtet wird,
er gibt dessen gewicht haargenau bis aufs lot an und schreibt:
„der schlachter hiess morg, der name des ochsen wird nicht genannt"
das hat es in dieser zeit sonst nicht gegeben,
dass der respekt vor den kreaturen
auf so hintergründige weise eingefordert wird.

claudius achtet nicht auf erhabenheit,
er fordert die leser mit kleinen schocks oder anstössen
zum mitdenken heraus, und das ist absolut modern.

warum ist sein „abendlied" bis heute so beliebt?
hm, die melodie kommt mir etwas lahm vor,
an den zeilenenden verführt sie zum leiern.
aber sie war offenbar genau richtig.

wir sind seit vielen jahrhunderten vom christentum geprägt,
und in dessen geschichte hat es auch viel abstossendes gegeben.

aber hier ist das gegenteil, das anziehende am christentum dargestellt.

es geht um existenzielle wahrheiten,
und es scheint am horizont ein hoffnungsschimmer auf,
wie ihn sich jeder für sein leben wünscht, ob christ oder nicht.

von diesem hoffnungsschimmer zu singen,
schafft zusammenhalt unter den menschen.
das kann von kindern verstanden werden
und sagt auch erwachsenen etwas.
da fühlen sich arme wie reiche, kleine wie grosse
gemeinsam in den arm genommen.

das findet man so schnell weder in kunstvoller lyrik
noch im volkslied, schon gar nicht im schlager.

und da ist dieser bruch im letzten vers:
„und lass uns ruhig schlafen / und unsern kranken nachbar auch."

da stelle ich mir vor, dass da die kleinste im haus
beim singen diese worte dazwischenkräht!

bei so viel nähe zur familie kann erhabenheit erst gar nicht aufkommen.

die klassik soll nichts als edel sein,
da macht claudius nicht mit.
deshalb kommt er in der schule kaum mehr vor

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waz, 21.02.2014

 [king singers - der mond ist aufgegangen]