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blog 0140 - tier sache

12.01.2015 07:45

das tier ist doch eine sache?

das war ursprünglich vom römischen recht her
durchaus nicht negativ gemeint, im gegenteil,
tiere standen zuvor vollkommen
ausserhalb des gesetzes.

mehr rechtsschutz stand damals auch frauen,
kindern und sklaven nicht zu.

tiere sind allerdings aus heutiger sicht
die letzten noch den sachen zugeordneten lebewesen.

der grösste teil der rechtsphilosophen
hat der rechtsstellung des tieres offenbar
keine besondere bedeutung beigemessen,
obwohl viele denker des griechischen
und römischen altertums dem tier
hohe achtung gezollt haben,
z.b. pythagoras, empedokles, theophrastos, plutarch.
pythagoras (580 - 500 v. chr.) mied die metzger;
er und seine anhänger waren vegetarier,
weil sie niemals „etwas beseeltes" essen wollten.

der römische jurist ulpianus bezeichnete die tiere
als des naturrechts teilhaftig, und cato sagte,
niemand dürfe mit beseelten tieren
wie mit geräten umgehen.

später waren philosophen und dichter
wie leibniz, herder, schleiermacher und
schopenhauer grosse tierfreunde.
letzterer wandte sich gegen die behandlung
der tiere als rechtlose sache.

leider haben die nichttierfreundlichen ideen
anderer denker über viele jahrhunderte
eine starke wirkung ausgeübt,
etwa aristoteles, spinoza oder hobbes,
der den tieren die rechtsfähigkeit absprach.

auch die lehren von männern der kirche
wie augustinus und thomas von aquin
wirken bis heute stärker als die
des grossen tierfreundes franz von assisi.

origines betrachtete das tier als einen
mechanismus ohne schmerzgefühl.
der philosoph und mathematiker descartes
konnte unwidersprochen die schmerzensschreie
gequälter tiere mit dem quietschen
von maschinen gleichsetzen.

diese auffassung von der totalen verfügbarkeit
des tieres hat sich unheilvoll über das zeitalter
der aufklärung hinaus bis heute ausgewirkt
und dient den experimentatoren und
anderen tiernutzern zur rechtfertigung.

die christlichen kirchen haben sich
aufgrund der widersprüchlichen und
missverständlichen bibelaussagen
bis heute nicht hinreichend bequemt,
dem tier eine ihm angemessene rolle
in der schöpfung zuzuweisen.

es scheint, dass die von franke im jahr 1959
vorgenommene einführung der „mitgeschöpflichkeit",
also die konsequente einbeziehung
der tiere in die christliche ethik,
im praktischen vollzug kaum durchgegriffen hat.

unbeirrt sehen die kirchen im menschen
die krone der schöpfung und sprechen
dem tier ein seelenleben ab.

inwieweit die aussage von papst johannes paul II,
dass auch tiere vom lebendigen oder
des heiligen geistes beseelt seien,
wirkung haben wird, muss sich erst noch zeigen.

bis heute konnte sich zur genugtuung der tiernutzer
der anthropozentrismus (der mensch als mittelpunkt)
als beherrschende denkrichtung behaupten.

es ist unbestreitbar, dass der mensch
mit seinen geistigen fähigkeiten und
seiner reichen kulturellen überlieferung
dem tier hoch überlegen ist;
aber gerade deshalb sollte es ihm
die vornehmste pflicht sein,
das ihm wehrlos ausgelieferte arglose tier
nicht zu missbrauchen, auch wenn er
die technischen möglichkeiten dazu besitzt.

der anthropozentrismus beherrscht das denken
der heutigen intellektuellen immer noch
in einem nur schwer begreiflichen masse.

menschen, denen tiere nahestehen,
wehren sich seit jahrhunderten,
besonders aber seit etlichen jahrzehnten,
gegen die geringschätzung der tiere.

sie erkennen zwar an, dass tiere nicht fähig sind,
rechte und pflichten selbst wahrzunehmen,
fordern aber für die tiere
einen rechtsstatus eigener art.

unterstützt wird ihre auffassung
durch die ergebnisse der verhaltensforschung,
die in vielen anlagen und eigenschaften
eine erstaunliche ubereinstimmung
zwischen mensch und tier nachgewiesen hat.

(prof. ingeborg bingener, das recht im tier, 1990)