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blog 0129 - wolfssonate

29.12.2014 18:09

auch wenn im 13. jahrhundert de beaumanoir behauptet,
die tiere würden gut und böse nicht kennen,
gibt es zahlreiche juristen wie jean duret oder pierre ayrault,
die noch im 16. jahrhundert die meinung vertreten,
man müsse tiere, die sich des mordes oder des kindsmordes
schuldig gemacht haben, mit tod durch hängen
oder die garrotte, die würgschraube, bestrafen.

denn empfiehlt die bibel nicht, die tiere,
die menschen ermorden, zu töten,
weil sie schuldig und unrein seien?
„wenn ein rind einen mann oder eine frau stösst,
dass sie sterben, so soll man das rind steinigen
und sein fleisch nicht essen;
aber der besitzer des rindes soll nicht bestraft werden.“
(2. mose, 21, 28)

im mittelalter glaubt man, dass das tier
teilweise für seine handlungen verantwortlich ist,
weil es wie alle lebewesen eine seele besitzt,
die vegetativ wie bei allen pflanzen
und sensitiv wie bei den einfachsten tieren,
aber auch intellektual* wie die der menschen ist.

besitzt es darüber hinaus auch einen denkenden
und einen spirituellen grundbestandteil?

und die scholastiker** fragen auch,
ob die tiere nach dem tod auferstehen,
ob sie ein eigens ihnen vorbehaltenes paradies haben
und ob man sie auf dieser erde als moralisch
verantwortliche lebewesen behandeln muss.

lächeln wir nicht. die frage ist ernst gemeint,
und die zeit ist zu rühmen,
in der das schicksal der tiere und der respekt,
der ihnen gebührt, auch in der gefahr,
die sie bisweilen darstellen,
ernsthaft abgewogen und studiert werden.

denn schliesslich sind alle geschöpfe,
wie paulus sagt, „kinder gottes“
...

(helene grimaud, *1969, pianistin, autorin wolfssonate)
 

[youtube rachmaninow ...]

[siehe blog 0041]

... denn schliesslich sind alle geschöpfe,
wie paulus sagt, „kinder gottes“

mit ausnahme der schlange,
die der herr wegen ihrer kriminellen komplizenschaft
mit satan im garten eden verflucht hat.
mit ausnahme der schlange für gott ...
... und des wolfs für den menschen:

als plage betrachtet, sobald man ihn
in ländlichen gebieten antrifft,
wird der wolf unermüdlich verfolgt.
treibjagden werden organisiert, um ihn zu fangen.
alles unheil wird ihm aufgebürdet, alle verbrechen,
wie viele kindsmorde sind ihm zugeschrieben worden!
alle todesfälle, wie viele vergewaltigungen
und morde sind ihm untergeschoben worden!
und das schlimmste verbrechen von allen,
reine hexerei: die verwandlung
des menschen in einen werwolf.

die dieses verbrechens überführten wölfe
wurden gevierteilt und lebend
auf den hexenscheiterhaufen verbrannt.

lykanthropie? dieser zauber,
durch den ein mann oder eine frau
sich in einen wolf verwandelte,
wenn nicht gar satan selbst seine gestalt, sein fell,
sein rotes gesicht mit den gelben augen annahm,
das das höllentor im frieden der ländlichen gebiete öffnete.

leider stammen diese unglaubliche wahnvorstellung
und das martyrium, das sich daraus für die wölfe ergab,
nicht aus dem mittelalter, es gibt sie seit urzeiten.

seit jupiter in der antike, wie pausanias erzählt,
den könig lykaon von arkadien verflucht hat,
weil er ein neugeborenes auf seinem altar geopfert hatte.

für zehn jahre verwandelt der gott der götter
den könig in einen wolf, als zeichen der höchsten bestrafung.

man hasst sie, seit die ärzte im mittelalter
eine sehr eigenartige physiologische
krankheit diagnostiziert haben:
eben die lykanthropie.

dieser „wolfswahnsinn“ treibt die frauen
in die wollust und die sexuelle raserei,
die schönsten und jüngsten heulen nachts den mond an,
mit entblössten brüsten und dargebotenem geschlecht,
einem seelenverschlingenden geschlecht.

*intellektual = zum intellekt gehörend
**scholastik = wissenschaftliche denkweise und methode der beweisführung