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blog 0089 - tierschutz in deutscher dichtung

19.11.2014 08:06

naturschutz, tierschutz und lebensreform in der deutschen dichtung

wenn wir hier vom tierschutz, naturschutz und der lebensreform
in der deutschen dichtung sprechen wollen,
so ist nur an dichtung im strengen, gebundenen sinn,
also an poesie gedacht.

die meisten menschen werden nun auch gleich das gefühl haben,
dass lebensreform und tier- und naturschutz
praktische und nüchterne dinge sind, die nicht in die poesie hineingehören.

wir stossen hier auf ein vorurteil, das leider einen sehr tragischen grund hat.
da die menschheit der kolonisator und ausbeuter der gesamten naturkräfte,
besonders aber der tier- und pflanzenwelt und, wenn möglich,
auch der unterentwickelten rassen und klassen unter den mitmenschen ist,
so ist ihr ganz und gar nicht daran gelegen,
ihre oftmals fragwürdigen machenschaften
in das licht eines komplizierter reagierenden gewissens zu heben,
sie etwa in die behandlung und beherzigung
durch ethiker und poeten geraten zu lassen.

die gefahr ist nun auch nicht allzu gross,
denn die meisten dichter und denker teilen die vorurteile der massen,
weshalb sie denn auch die besten aussichten auf gewinn und ruhm haben,
wenn sie sich mit der liebe und mit dem krieg befassen.
denn beide hören anscheinend nimmer auf.

man wirft uns naturfreunden, tierschützern und vegetariern
gerne einseitigkeit und sektierertum vor,
weil wir die manchmal riesigen komplexe bemerkt haben,
die die normalmenschheit sich einfach
aus ihrem leben und gewissen ausgespart hat.

es gilt einfach als taktlos,
die bestehende ordnung dieser dinge in zweifel zu ziehen.
weil unsere forderungen und reformvorschläge
unbequem und unbeliebt sind,
schiebt man uns als bedeutungslos beiseite,
oder lässt man uns in demokratischer freiheit
unbeachtet unsere eigenen wege gehen.

kann dieser zustand nun noch geändert werden?
sollen und können vegetarier konzessionen machen?
vielleicht haben die andern deswegen nicht gewollt,
weil wir zuviel gewollt haben?
sollte man hier nicht eine politik der kleinen schritte versuchen?
in der hoffnung: wer die hälfte fordert, kommt weiter, erreicht mehr.
ja und nein!
die fahne der wahrheit, der gerechtigkeit und der liebe
muss absolut hochgehalten werden.
man kann wohl sagen: das halbböse ist besser als das ganzböse,
aber man kann nicht sagen: das halbböse ist besser als das ganzgute.

es besteht die grosse gefahr, dass durch kleine konzessionen,
die uns die gegenseite zubilligt, der fundamentale irrweg,
auf dem sich die menschheit befindet im hinblick auf die kriegsfrage,
auf die ernährung, die tierausbeutung, die vivisektion,
vernebelt und verschwiegen wird
und somit praktisch alles beim alten, beim ganzbösen bleibt,
beim konventionellen krieg, bei der konventionellen ernährung,
beim konventionellen schlachthaus, bei der konventionellen vivisektion.

grosse geistesgeschichtliche revolutionen wurden immer
durch grosse und reine ideen
und ihre unentwegte zunächst literarische vertretung vorbereitet.
und ich meine noch immer:
der vegetarismus und die lebensreform ist so eine grosse revolution,
die wir anstreben.
sie hat ihre propheten und vorläufer gehabt,
die uns bekannt sind von pythagoras bis tolstoi und gandhi,
aber von der welt ist dieser teil ihrer botschaft
noch nicht ernst genommen und gehört worden.
das sollte uns nicht veranlassen,
müde und moralisch grosszügiger
gegenüber den landläufigen perversitäten der menschen zu werden.

nur die pausenlose erschütterung der verhärteten gewissen
durch die kritischen stimmen ihrer anerkannten denker und dichter
vermag am ende eine ethische wandlung in der menschheit herbeizuführen.

wir haben es selbst erlebt, dass wir überrascht und erstaunt waren,
wenn wir unsere liebsten und heimlichsten,
weil verachtetsten gedanken
bei berühmten denkern und dichtern wiederfanden
und damit bestätigt fanden,
dass wir gar nicht so weltfremd und verrückt waren,
wie man uns immer gerne hinstellte.

wir sind selbst erstaunt darüber,
dass unsere kühnsten und von der welt noch immer abgelehnten gedanken
schon längst ihre poetische formulierung
bei den ernstesten und berühmtesten dichtern gefunden haben
und müssen uns nur wundern über die unkenntnis der gebildeten,
die sich diese tiefsten sittlichen gedanken unserer klassiker nicht zu herzen,
ja nicht einmal zur kenntnis genommen haben,
weil sie die darin ausgedrückten gefühle und gewissensregungen
einfach fürchten und als unbequem verwerfen.

wir haben die erste garnitur der geistigen durchaus auf unserer seite.

schwierigkeiten und hemmungen erleidet der ethische fortschritt wesentlich
durch die zweite garnitur
der herrschenden und tonangebenden geistigen schicht,
die in literaturkritiken auch über das genialische zu gericht sitzt.

(carl anders skriver, 1903-1983, siehe blog 0070)

(auszüge aus einem vortrag auf dem deutschen vegetariertag 1965)